Dieser Artikel wurde von unserem Director User Experience & Accessibility-Experten Daniel Ludes verfasst und und am 28.04.2025 auf Medium veröffentlicht.
In meinem letzten Artikel habe ich mich mit dem Thema “Einfache Sprache” befasst und bin dabei auf einen mir unbekannten Fakt gestoßen: für viele taube oder hörgeschädigte Menschen ist das geschriebene Wort die Zweitsprache (Quelle 1) - Lesen kann so schnell zu einer Herausforderung werden. Ob es noch weitere Barrieren gibt, und was das alles mit deinem Business, KPIs oder Wachstum zu tun haben könnte, liest du in diesem Artikel.
Viele Menschen, großes Potenzial
Weltweit leben etwa 430 Millionen Menschen mit Hörverlust (Quelle 2), darunter 34 Millionen Kinder. (Quelle 3). In der Europäischen Union sind knapp 8 % der Erwachsenen betroffen, was etwa 34 Millionen Menschen entspricht. (Quelle 4) In den USA haben etwa 15 % der Erwachsenen Hörprobleme (Quelle 5), also ca. 37,5 Millionen Menschen. Diese Zahlen verdeutlichen die immense Bedeutung von Barrierefreiheit für Menschen mit Taubheit oder Hörbeeinträchtigungen.
TL;DR? Alle Key Infos findest du unten bei “Facts & Figures”
Verständnis der Taubheit und ihrer Auswirkungen

Taubheit kann verschiedene Ursachen haben, darunter genetische Faktoren, Krankheiten, Unfälle oder altersbedingter Hörverlust. Etwa 90–95 % der tauben Menschen stammen aus hörenden Familien, was oft zu Kommunikationsbarrieren führt, da viele dieser Familien keine Gebärdensprache beherrschen. Ein weit verbreitetes Missverständnis ist, dass alle tauben Menschen die Gebärdensprache beherrschen; tatsächlich ist dies nicht der Fall, und viele nutzen andere Kommunikationsformen. (Quelle 6)
Zudem gibt es keine universelle Gebärdensprache; sie variiert weltweit. Sogar innerhalb eines Landes können unterschiedliche Dialekte existieren (Quelle 7), die für Außenstehende schwer verständlich sind. Für viele taube Menschen ist die gesprochene Sprache ihres Landes eine Zweitsprache, was zusätzliche Herausforderungen mit sich bringt. Lippenlesen hilft nur begrenzt: Nur 40-60 % der gesprochenen Wörter sind visuell erfassbar. (Quelle 6)
„UX-Design für Gehörlose beginnt nicht beim Ton – sondern bei Klarheit, Struktur und visueller Orientierung.“ - Daniel Ludes, Director UX und Accessibility Experte SHAPE DACH
Einschränkungen in der digitalen Welt

Trotz technologischem Fortschritt gibt es in der digitalen Welt nach wie vor zahlreiche Barrieren für taube oder hörgeschädigte Menschen:
Multimediale Inhalte
- Fehlende oder ungenaue Untertitel bei Videos, Livestreams oder Social-Media-Inhalten
- Podcasts ohne Transkripte
- Keine Gebärdensprach-Übersetzungen bei wichtigen Informationen
Websites & Apps
- Komplizierte oder fachspezifische Sprache
- Audio-only Inhalte ohne visuelle Alternative
- Chatbots oder Supportsysteme, die Sprachkommunikation voraussetzen
Kommunikationsplattformen
- Telefonzentrierte Kundenservices ohne Chat- oder E-Mail-Alternativen
- Meetings und Videoanrufe ohne Live-Untertitel oder Gebärdensprach-Dolmetschung
Digitale Services & E-Commerce
- Automatisierte Telefonsysteme (z. B. bei Banken) ohne textbasierte Option
- Formulare oder Interfaces ohne visuelle oder textliche Hilfen
Smart Home & Sprachassistenten
- Voice Interfaces wie Alexa oder Siri, die keine visuellen Alternativen bieten
Bildung & E-Learning
- Lernplattformen ohne Untertitel oder visuelle Ergänzungen
- Virtueller Unterricht ohne gebärdensprachliche Unterstützung
Wirtschaftliches Potenzial durch barrierefreie Angebote

(Bild Quelle 8)
Die Implementierung barrierefreier Lösungen eröffnet Unternehmen erhebliche Marktpotenziale. In den USA beispielsweise verfügt die Gruppe von Menschen mit Hörbeeinträchtigungen über eine signifikante Kaufkraft, insbesondere im Bereich der Hörtechnologie und barrierefreien Kommunikationstechnologie. Unternehmen, die ihre Produkte und Dienstleistungen an die Bedürfnisse dieser Zielgruppe anpassen, können nicht nur ihren Kundenstamm erweitern, sondern auch ihre Markenloyalität stärken.
Studien zeigen, dass barrierefreie Websites und Apps eine höhere Konversionsrate aufweisen (Quelle 14), da sie für eine breitere Nutzerbasis zugänglich sind und unnötige Barrieren abbauen.
„Barrierefreiheit ist kein Randthema. Es ist ein Wachstumshebel für jedes Unternehmen, das langfristig relevant bleiben will – digital, ethisch und wirtschaftlich.“ - Daniel Ludes, Director UX und Accessibility Experte SHAPE DACH
Praktische Tipps für die Gestaltung barrierefreier Angebote
Einfache und klare Sprache: Schriftsprache ist für viele taube Menschen eine Zweitsprache.
Visuelle Unterstützung: Einsatz von Bildern, Icons und Videos.
Untertitelung und Gebärdensprache: Alle Medieninhalte sollten untertitelt oder in Gebärdensprache zugänglich sein.
Direkte Kommunikation: Immer schriftlich oder nach der bevorzugten Methode fragen.
Sensibler Sprachgebrauch: Begriffe wie "Hörbehinderung" vermeiden – stattdessen "taub" oder "gehörlos".
Lippenlesen nicht voraussetzen: Nur 40-60 % der gesprochenen Wörter sind visuell erkennbar.
Fazit
Barrierefreiheit endet nicht beim Screenreader oder der Farbwahl. Für Menschen mit Hörverlust geht es um mehr als nur Lautstärke: Es geht um Verständlichkeit und visuelle Klarheit – auch ohne Tonspur. Unternehmen, die diese Bedürfnisse ernst nehmen, gewinnen nicht nur Vertrauen, sondern auch wirtschaftliche Relevanz, da sie die Kundenzufriedenheit steigern und ihre Reichweite erhöhen.
Stelle Dir deshalb gerne einmal die Frage: Ist Deine Webseite oder App schon für alle zugänglich?
Lass uns darüber sprechen! Ob rechtskonformer Quick-Check, barrierefreie Optimierung oder individuelle Beratung – ich stehe Dir als Accessibility-Experte bei SHAPE zur Seite. Schreib mir einfach eine Nachricht!
Daniel Ludes Director User Experience
Daniel entwickelt zusammen mit Kund:innen die Vision eines Produkts oder Dienstleistung und fokussiert die User Experience schon in den ersten Entwicklungsphasen.

Facts & Figures
1. Für viele hörgeschädigte Menschen ist das geschriebene Wort die Zweitsprache. Daher stellen Untertitel im Vergleich zur Gebärdensprache eine Herausforderung dar. (Quelle 1)
2. Weltweit leben 430 Millionen Menschen mit Hörverlust (Quelle 2). In der EU sind etwa 8 % der Bevölkerung betroffen (Quelle 4), in den USA sogar 15 % (Quelle 5).
3. Nicht alle Menschen mit Hörschäden beherrschen die Gebärdensprache: viele nutzen alternative Kommunikationsformen (Quelle 6).
4. Gebärdensprache ist nicht universell verständlich: Es gibt unzählige Sprachen und Dialekte (Quelle 7). Gebärdensprache allein ist daher keine Lösung.
5. Lippenlesen hilft nur begrenzt: Bei guten Voraussetzungen sind nur 40-60 % der gesprochenen Wörter visuell erfassbar (Quelle 6).
6. In Großbritannien beträgt die Kaufkraft von Menschen mit Behinderungen im Internet, die auf Barrierefreiheit angewiesen sind, 24,8 Milliarden Pfund jährlich. (Quelle 9)
7. Mehr als 70 % der Nutzer:innen mit Behinderungen verlassen eine Website, wenn sie auf Barrieren stoßen. Dies führt zu erheblichen Umsatzeinbußen. (Quelle 9)
8. Weltweit verfügen Menschen mit Behinderungen über eine kombinierte Kaufkraft von 8 Billionen US-Dollar - World Economy Forum (Quelle 10)
9. Etwa 15 % der Weltbevölkerung, also über 1 Milliarde Menschen, leben mit einer Behinderung. Die meisten von ihnen stoßen im digitalen Raum auf Barrieren. (Quelle 11)
10. Laut Schätzungen verliert der Einzelhandel in den USA jährlich 6,9 Milliarden US-Dollar an Umsätzen, weil ihre Webseiten nicht barrierefrei sind. (Quelle 12)
11. Unternehmen, die in Barrierefreiheit investieren, erleben eine Rendite von bis zu 25 % durch eine verbesserte Kundenbindung und höhere Markentreue. (Quelle 13)
Quellen
Über SHAPE
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